Brauchen nachhaltige Fonds eine digitale Entgiftung?
Technologieunternehmen werden für Probleme verantwortlich gemacht, die von steigenden Depressionsraten bei jungen Menschen bis zur Zunahme von Extremismus reichen. Fondsmanagerin Katherine Davidson überlegt, ob eine digitale Entgiftung angestrebt werden sollte.
Der Netflix-Dokumentarfilm Das Dilemma mit den sozialen Medien ist besonders für Benutzer von Social-Media-Kanälen wie Facebook, Instagram, Snapchat, YouTube oder Twitter unangenehm,
d. h. für so ziemlich alle von uns.
Und als Nachhaltigkeitsspezialistin, die (zum Zeitpunkt des Schreibens) in Alphabet, die Muttergesellschaft von Google und YouTube, investiert, finde ich die behandelten Themen besonders problematisch.
Worum geht es im Dilemma mit den sozialen Medien?
Der Dokumentarfilm besteht hauptsächlich aus Interviews mit „Zeugen“, also Insidern der Technologiebranche, die sich mit den Auswirkungen ihrer Kreationen zunehmend unwohl fühlen, und aus der Geschichte einer fiktiven Familie, die gegen die Übel der sozialen Medien kämpft.
Wie wir alle inzwischen wissen – und wenn nicht, schauen Sie sich den Dokumentarfilm an –, verdienen diese Technologieunternehmen das meiste Geld, indem sie Werbeflächen an andere Unternehmen verkaufen. Wie sie sagen: „Wenn es kostenlos ist, sind Sie das Produkt.“ Ihre Dienste können kostenlos genutzt werden, aber sie sind keine philanthropischen Unternehmen und müssen Geld verdienen.
Wenn Sie nicht dem Grundprinzip des Kapitalismus widersprechen, besteht die Debatte darin, wie diese Unternehmen ihr Geld verdienen, und in den unbeabsichtigten Folgen, dass sie unglaublich gut darin werden.
Warum brauchen nachhaltige Portfolios möglicherweise eine digitale Entgiftung? Ich sehe zwei Hauptprobleme: Sucht und Polarisierung.
Meine Bedenken: Sucht und Polarisierung
1. Opium der Massen: Sucht
Die Plattformen steigern ihren Wert für Werbetreibende, indem sie das Nutzerengagement maximieren: Je mehr Zeit Sie auf ihren Websites verbringen, desto mehr Anzeigen können sie schalten. Und je mehr sie über Sie erfahren, desto mehr können sie ihre Ausrichtung weiter verfeinern und mehr verdienen.
Wie die Insider erklären, wurden die Dienste entwickelt, um eine „Dopamin-gesteuerte Feedbackschleife“ zu kreieren. Dopamin, die „Wohlfühl-Chemikalie“, die mit Suchtverhalten verbunden ist, wird durch positive soziale Interaktionen und Bestätigung durch Altersgenossen freigesetzt. Social Media liefert soziale Reize wie ein Spielautomat: Belohnungen mit unregelmässigem Zeitplan in Form von Likes und anderen Benachrichtigungen.
Das Ziel ist es, Sie daran zu hindern, Ihr Gerät abzulegen, und es funktioniert bemerkenswert gut. Viele von uns sind buchstäblich süchtig nach unserer Technologie. Eine Studie in den USA ergab, dass die durchschnittliche Person ihr Telefon mehr als 2.600 Mal pro Tag berührt.
Es beeinträchtigt die Qualität unseres Schlafes und ist sogar mit einem höheren Risiko für Verkehrsunfälle verbunden. Der Bestätigungsdruck und unrealistische Beispiele in den sozialen Medien wurden auch für die Zunahme von Depressionen, Essstörungen und Selbstmord verantwortlich gemacht – insbesondere bei jungen Menschen.
2. Regeln des Engagements: Polarisierung
Dies führt zum zweiten Problem.
Das Engagement ist höher, wenn die Plattform Ihnen Inhalte bereitstellt, die Sie ansprechend finden. Dies können Dinge sein, an denen Sie zuvor Interesse gezeigt haben oder auf die „Leute wie Sie“ klicken.
Das sind natürlich Inhalte, die mit Ihrer bestehenden Sicht der Welt übereinstimmen, und die Algorithmen funktionieren so gut, dass wir weniger wahrscheinlich Inhalte sehen, die unserer bestehenden Sicht der Welt widersprechen. Das ist nichts Bösartiges: Sie wurden entwickelt, um die Ergebnisse zu liefern, die für Sie am relevantesten sind. Dies kann jedoch zu Bestätigungsverzerrungen führen.
Wir alle neigen dazu, Quellen und Unternehmen zu suchen, die mit unseren Ansichten übereinstimmen. Menschen unterschiedlicher politischer Überzeugungen kaufen unterschiedliche Zeitungen oder schauen sich verschiedene Fernsehkanäle an, in denen die Kolumnisten und Moderatoren die eigenen Ansichten vertreten. Die Technologie hat dies bis zum n-ten Grad gesteigert. Das hat einen Einfluss auf die Gesellschaft.
Es gibt zahlreiche Studien, die darauf hinweisen, dass die politische Polarisierung seit den 1990er Jahren insbesondere in den USA zugenommen hat.
Social Media ist nicht der einzige Grund, aber es ist plausibel, dass sie einen bedeutenden Beitrag leisten. Vor den US-Wahlen stellte Pew Research fest, dass 90 % der registrierten Wähler auf beiden Seiten sagten, ein Sieg des Gegenkandidaten würde den USA „dauerhaften Schaden“ zufügen.
Demokratie beruht auf der Prämisse, dass jede Stimme das gleiche Gewicht hat, aber wenn politische Gegner zu Todfeinden werden, bricht dieses Konzept zusammen.
Wenn man diese Bedenken bis zu ihrer logischen Schlussfolgerung ausdehnt, könnte man sagen, dass Technologiefirmen für Hassreden und sogar politische Gewalt verantwortlich gemacht werden können. Ich neige zu der Ansicht, dass dies eine zu vereinfachte Sichtweise ist. Die Komplexität geopolitischer und sozialer Spaltungen kann nicht auf einen einzigen Faktor zurückgeführt werden.
Was jedoch mit Sicherheit zutrifft, ist, dass soziale Medien eine Plattform für schädliche Inhalte bereitgestellt haben und ermöglicht und möglicherweise dazu ermutigt haben, solche Inhalte bedeutend weiter als bisher möglich zu verbreiten.
Können Tech-Unternehmen dennoch eine Kraft für das Gute sein?
Die Geschichte hat zwei Seiten und man wird leicht in das Melodrama des Tech-Bashing verwickelt.
Wenn Sie einen Zauberstab schwingen und die Welt von Big Tech befreien könnten, würden Sie es tun? Ich würde es auf keinen Fall tun.
Insbesondere in den letzten 12 Monaten wäre ein Leben ohne die Dienste dieser Unternehmen fast unvorstellbar und sicherlich ärmer gewesen.
Dank YouTube kann ich von meinem Wohnzimmer aus an einem Live-Fitnesskurs teilnehmen. Dank WhatsApp kann ich die neuen Babys meiner Freunde über Videoanrufe sehen. Ich verwende Google Maps, um Radrouten zu planen und mehr Grünflächen in meiner Umgebung zu entdecken, und Microsoft Teams und Skype, um mit Kollegen in Kontakt zu bleiben. Wir können uns einfacher als je zuvor verbinden und so eine weltweite Zusammenarbeit ermöglichen.
Wir halten viele dieser positiven Aspekte mittlerweile für selbstverständlich.
Es gibt auch Vorteile für die Gesellschaft insgesamt. Wie in einem vorherigen Artikel besprochen – Der „Big Tech“-Rückschlag: Wie nachhaltig sind Google, Facebook und Amazon? –, haben Technologieunternehmen eine wichtige Rolle beim Vorantreiben der Preisdeflation von Konsumgütern, der Förderung von Innovationen und der Senkung von Eintrittsbarrieren für kleine Unternehmen gespielt.
In den letzten Jahren war Big Tech auch führend in Bezug auf Umweltstandards und Emissionsreduzierung. Microsoft versprach, bis 2050 das erste „lebenslang klimaneutrale“ Unternehmen zu werden.
Ich sehe zwei wichtige Wege, um die negativen Auswirkungen der Technologie zu mildern: Regulierung und Bildung.
In Bezug auf die Regulierung wird das Umfeld zunehmend feindlich. Europa hat bereits Schritte unternommen, um die Macht von Big Tech einzuschränken, und ich glaube, dass der Wechsel der US-Regierung zu mehr regulatorischen Aktivitäten führen wird.
Die Herausforderung für die Regulierungsbehörden besteht darin, dass diese Geschäftsmodelle sehr schwer zu regulieren sind. Aber wir haben einen Punkt erreicht, an dem etwas getan werden muss, auch wenn es nicht perfekt ist.
Es gibt einige vernünftige Massnahmen, die ergriffen werden könnten, z. B. die Rechte der Benutzer an ihren Daten zu verbessern (wie in Europa) und es ihnen zu ermöglichen, ihre Freunde und Nachrichten auf ein neues soziales Netzwerk zu „portieren“, wie man auch seine Handynummer mitnimmt, wenn man zu einem neuen Anbieter wechselt.
Die Aufteilung von Unternehmen zur Steigerung des Wettbewerbs könnte ebenfalls eine Option sein. Es ist sicherlich unwahrscheinlich, dass die Technologiegiganten in Zukunft so einfach Übernahmen tätigen können wie bisher.
Mehr Transparenz bei internen Algorithmen, Richtlinien und der Verwendung von Daten würde dazu beitragen, Vorwürfe von Verzerrungen und Machtmissbrauch zu reduzieren.
Ich gehe auch davon aus, dass der Druck auf Technologieunternehmen, Inhalte auf ihren Plattformen zu überwachen, zunehmen wird, da die Grenze zwischen sozialen und traditionellen Medien zunehmend verschwimmt.
Diese Verantwortung könnte gesetzlich verankert werden.
Dies könnte das kapitalschwache, hoch skalierbare Geschäftsmodell untergraben, das Technologie für Investoren so attraktiv macht. Diese Unternehmen werden immer arbeitsintensiver, nicht nur in Bezug auf die Anzahl der benötigten Mitarbeiter (Facebook hat in den USA bereits mehr als 15.000), sondern auch in Bezug auf die Gehälter, die erforderlich sind, um Menschen für die Moderation von Inhalten zu gewinnen.
Bildung ist aus meiner Sicht noch wichtiger.
Der beste Ansatz ist wahrscheinlich der gleiche wie bei anderen potenziellen Schadensquellen wie Drogen und Alkohol, nämlich offen und ehrlich über die Risiken zu sprechen.
Ich denke sogar, dass es ein Argument dafür gibt, „Internet-Hygiene“ in den Lehrplan der Schule aufzunehmen.
Je besser wir alle und insbesondere junge Menschen die Techniken der Plattformen verstehen, desto mehr können wir uns schützen.
Warum ich dennoch in Alphabet investiere
Mein Team und ich fordern von allen Beteiligungen unserer nachhaltigen Strategien hohe Standards in Bezug auf Geschäftsethik und fairen Umgang mit Stakeholdern.
Dennoch ist kein Unternehmen perfekt, und in jedem Fall besteht die Herausforderung darin, die positiven und negativen Aspekte abzuwägen. Wir können dann mit Unternehmen zusammenarbeiten, um die Waage weiter zugunsten des Positiven zu neigen.
Ich bin der Ansicht, dass es einen Unterschied zwischen Alphabet, der Muttergesellschaft von Google und YouTube, und den reinen Social-Media-Plattformen gibt. Das Hauptprodukt ist die Suche, in die der Konzern viel investiert hat, und dies steigert den Wert unseres täglichen Lebens erheblich. Verbraucher stimmen weiterhin mit ihren Füssen ab, weil Google den besten Algorithmus hat.
Die Regulierungsbehörden, insbesondere in Europa, verlangen von Alphabet, Werbung transparenter zu gestalten und ihren eigenen Diensten keine Priorität einzuräumen, was den ärgsten Machtmissbrauch verhindert hat. Währenddessen sind die anderen Dienste des Unternehmens – Android, Mail, Karten, Meet – mehr Dienstprogramme als Aktivitäten, sodass ich nicht der Meinung bin, dass Sucht ein so grosses Problem darstellt.
Alphabet ist auch eines der besten Unternehmen, was die Bereitstellung von Nutzerzugriff auf Daten und die Transparenz über deren Verwendung betrifft.
Der problematischere Bereich ist YouTube, das den Social-Media-Plattformen insofern ähnlicher ist, als es benutzergenerierte Inhalte hostet und den gleichen Anreiz hat, Menschen zu polarisieren – obwohl die Nachweise hierzu gemischt sind.
Glücklicherweise hat YouTube im letzten Jahr seinen Algorithmus geändert, sodass Grenzfall-Videos, wenn sie auch nicht gelöscht werden, mit geringerer Wahrscheinlichkeit empfohlen werden.
YouTube experimentiert auch mit einem „Freemium“-Modell (YouTube Plus), das erweitert werden könnte, um den Einfluss von Werbung zu verringern und mehr Ressourcen für die Moderation von Inhalten zu finanzieren.
Trotz allem verbringen wir viel Zeit damit, das Verhalten und die Kultur von Alphabet zu überwachen und zu diskutieren, und achten auf Warnsignale, die darauf hindeuten könnten, dass sich die Geschäftsethik des Unternehmens verschlechtert.
Wir prüfen alles, was man so hört, und blicken in Mitarbeiterportale wie Glassdoor und Mitarbeiterblogs. Bisher waren wir beeindruckt von der ungewöhnlich offenen Kultur bei Alphabet, die zu hässlichen Schlagzeilen führen kann, aber auch für Debatten und Herausforderungen für die Führung sorgt.
Wir sind uns jedoch bewusst, dass es bei einem Unternehmen dieser Grösse schwierig sein kann, diese Kultur aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grund werden wir das Unternehmen weiterhin inspizieren und die Zusammenarbeit fortsetzen, um festzustellen, ob unsere Überzeugung erhalten bleibt oder mehr getan werden muss.
Für uns ist die Aktivität von Alphabet derzeit eine Kraft für das Gute, aber wir sind immer wachsam gegenüber Richtungswechseln.
Brauchen nachhaltige Fonds eine digitale Entgiftung?
Das Dilemma mit den sozialen Medien malt Tech-Unternehmen als Bösewichte, die das Grundgefüge der Gesellschaft zerstören.
Dies macht den Film mitreissend, aber die Realität ist nuancierter. Ich stimme zu, dass die psychologischen Auswirkungen von Social Media bei Geschäftsmodellen, die auf Sucht und Polarisierung bauen, schädlich sein können.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass Technologieunternehmen – und ihre Produkte – alle giftig sind. Wie es bei vielen Dingen der Fall ist, können soziale Medien nützlich und unterhaltsam sein, wenn sie in Massen konsumiert werden.
In Bezug auf die Regulierung und Bildung könnte sicherlich noch mehr getan werden, aber wir können uns nicht nur auf Top-Down-Lösungen verlassen. Letztendlich müssen nachhaltige Investoren eine Rolle dabei spielen, diese Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen und positive Veränderungen zu fördern, wo dies möglich ist.
Eine digitale Entgiftung ist zu extrem und unrealistisch. Eine regelmässige digitale Untersuchung könnte jedoch genau das sein, was ein Arzt verordnen würde.
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